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Ein Spark von Dr. Claudia Kleimann-Balke / 10.11.2022

Sicher ist sicher: Server, Mondlandung und Kölner Flocken

Es ist nicht immer einfach mit mir! Es reicht meist ein kleiner Anlass und schon krame ich – vielleicht gerade nicht unbedingt benötigtes – Wissen, jahrhundertealte Zitate und historische Fakten aus den hintersten Regionen meiner Gehirnwindungen ... und lasse meine Mitmenschen daran teilhaben.

Vor ein paar Tagen roch es im Büro eines Freundes merkwürdig angebrannt. Schnell stellte sich heraus, dass der Geruch aus dem Serverraum kam ... kurz zusammengefasst: Es ist nichts passiert, dank vielfacher Datensicherung ist nichts verlorengegangen und der Schaden war schnell behoben.

Ich erzählte in unserer virtuellen Kaffeeküche davon. Wir kamen ins Grübeln, denn natürlich hatte jeder von uns schon mal eine Datei gesucht – die am Ende doch nur falsch abgelegt worden war. Ist eine Datei ganz verschwunden oder hat man aus Versehen, das falsche Video gelöscht, treibt einem das den Schweiß auf die Stirn. Aber auch das wäre zu verschmerzen.

Was aber, wenn wirklich alles verschwinden würde? Auf einen Schlag – unwiederbringlich.

Allein der Gedanke daran, hinterließ bei uns allen ein gewisses Unwohlsein. Tatsächlich müssen wir uns darum nicht sorgen, denn wir sind gleich auf mehreren Ebenen und durch Backups vor Datenverlusten geschützt. Riesige Server und Cloudlösungen stehen inzwischen bereit. Allein die Speicherkapazität meines Handys (128 Gigabyte) finde ich gigantisch – zumindest im Vergleich: Der Navigationscomputer, der die Mondlandefähre während der Apollo 11 Mission sicher auf den Erdtrabanten brachte, verfügte lediglich über 79 Kilobyte – ja, Sie haben richtig gelesen! Wenn wir es also richtig anstellen, werden unsere Daten viele, viele Jahrzehnte überdauern.

Aber es gibt auch noch unsere analogen Datenspeicher – Archive und Bibliotheken. Sie können nur zu einem geringen Maß auf den Luxus einer digitalen Speicherung von Daten zurückgreifen. Seit Jahrhunderten hüten sie Bücher, Handschriften, Akten, Pläne und alle anderen denkbaren Dokumente der Vergangenheit – nur sind auch sie leider nicht gegen alle Arten des Verlustes geschützt.

Uns allen präsent ist der Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009.

Dort hatte ich während meines Studiums zu tun, weshalb mich diese Katastrophe persönlich so erschütterte. Zwei Menschen fanden in den Trümmern der benachbarten Häuser den Tod – und Köln mit seinem historischen Gedächtnis verlor ein Stück seiner Identität. 90 Prozent des Archivgutes wurden damals verschüttet. Zweieinhalb Jahre haben Helfer insgesamt 1,6 Milliarden Fragmente geborgen – von ganzen Büchern bis zu kleinen Schnipseln. Das sind 95 Prozent der verschütteten Dokumente – im Kölner Volksmund liebevoll als Kölner-Flocken bezeichnet.

In allem Unglück gab es einen kleinen Lichtblick. Die Handschriftenabteilung war im Besitz zweiter Bände aus der Feder des Universalgelehrten Albertus Magnus (um 1200-1280) Dabei handelt es sich einen Kommentar zum Matthäus Evangelium (Postilla in Mattheum) und ein einzigartiges wissenschaftliches Werk über die Tierwelt (Liber de animalibus). Einige Zeit galten diese Bände als verschollen – ein großer Verlust (Versicherungswert 2,5 Millionen). Doch sie waren, als unidentifiziert und zum Glück nur gering beschädigt, eingelagert worden.

Die Geschichte um diese beiden unschätzbar kostbaren Bände ist gut ausgegangen. Doch viele Milliarden Fragmente müssen noch gesichtet, sortiert, gesäubert und restauriert werden. Man schätzt, dass etwa 200 Restauratoren 30 Jahre lang rund um die Uhr daran arbeiten müssten.

Auch in Unternehmen gibt es bisweilen Schriftstücke, die für die Kultur und die Menschen im Unternehmen zu wahren „internen Wunderwerken“ und Treibern des Erfolgs wurden – und die bei Change-Projekten immer im Auge behalten werden.

Bei einem unserer Kunden gibt es aus den 70er Jahren einen zweiseitigen „Rundbrief an die Belegschaft“ in der der Senior-Chef seine Idee vom Unternehmen, seine Erwartungen an die Zusammenarbeit und sein Verständnis von Kultur definiert hat. Der Inhalt war seiner Zeit weit voraus und der Brief wird heute noch – in digitaler Form – auf den Servern des Unternehmens und auf unzähligen Desktops der Führungskräfte gehütet.

Er wurde also digitalisiert. So wie es inzwischen auch sukzessiv mit den Beständen vieler Archive passiert.

Das braucht Zeit und Manpower. Am Ende hat man die Daten gesichert und für die Nachwelt erhalten. Doch das kann das Gefühl, ein jahrhundertealtes, handgeschriebenes Dokument in den Händen zu halten und den Hauch der Geschichte lebendig zu spüren nicht ersetzen. Wir hatten übrigens gerade eine „Originalausgabe“ des besagten Zweiseiters in den Händen. Vielleicht findet er in mehreren hundert Jahren auch den Weg in ein Stadtarchiv – als Zeugnis unternehmerischen Handelns und vergangener Kultur.