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Ein Spark von Felix H. Kühn, Dezember 2020.

„Alu-Hüte“ gibt´s in jeder Organisation
Oder: Warum Querdenker besonders häufig über Evolutionsstufen von Unternehmen stolpern.

Mit Verwunderung, Erschrecken oder gar Fassungslosigkeit erleben viele von uns die Querdenker-Demonstrationen. Die Inhalte aus Reden oder Statements der Teilnehmer sind häufig voll von schlichter Polemik und kruden Verschwörungstheorien.

Ein Grund dafür, warum solche Aussagen einen Nährboden finden, kann die fehlende Ambiguitätstoleranz der Teilnehmer* sein. Das Phänomen ist nicht neu. Wer sich mit der Veränderungsfähigkeit von Unternehmen beschäftigt, weiß es längst: „Alu-Hüte“ gibt`s überall.

Nicht jeder Querdenker trägt einen „Alu-Hut“.

Die Querdenker-Bewegung ist ein Schmelztiegel aus Verschwörungstheorien, Pseudowissenschaft, Realitätsferne, aber auch berechtigten Ängsten und Sorgen. Sie verbindet Menschen unterschied­lichster Bildung und sozialer Schichten.

Was viele dieser Menschen gemein haben, ist fehlende Ambiguitätstoleranz.

Also die mangelnde Fähigkeit, vieldeutige Situationen und widersprüchliche Handlungen zu ertragen, mit Unsicherheit und Ungewissheit umgehen zu können. Corona verursacht genau das: Unsicherheit, Wider­sprüche, mehrdeutige Informationen, Komplexität, gepaart mit ständig neuen Erkenntnissen.

Hervorragendes Aufregerpotential für Schwarz-Weiß-Denker, für Menschen, denen es an Selbstsicherheit fehlt, die ihr Heil in kollektiver Stärke suchen – oder sich einfach mit ihren Sorgen und Ängsten allein gelassen fühlen.

Einfache Antworten geben ihnen Halt. Selbst wenn diese an den Haaren herbeigezogen sind.

Veränderungen verunsichern. Sie führen dazu, dass Menschen sich nach einfachen Erklärungen sehnen und Gleichgesinnte suchen. Das lässt sich auch in Veränderungsprojekten in Unternehmen beobach­ten. Es ist absolut menschlich und kein Phänomen bestimmter Gruppen.

Fehlende Ambiguitätstoleranz und die damit teils auch einhergehende partielle Ausblendung der Realität zieht sich quer durch die Bevölkerung. Sie ist unabhängig von der Bildung. Sie reicht von der Werkbank bis in die Vorstandsetage, und das in unterschiedlicher Ausprägung. Grund genug für Führungskräfte, sich zu überlegen, wie sie diesem Phänomen begegnen können.

Seit Jahren bemühen sich viele Führungskräfte und Fachleute darum, im Wandel möglichst alle Menschen mitzunehmen.

Umgang mit dem Verlust der Komfortzone, Sorge vor zusätzlichem Aufwand, Angst vor neuen Aufgaben oder, oder, oder: Wir kennen zig verschiedene Motive und Argumente, warum es vielen Menschen schwerfällt, Veränderungen anzunehmen oder gar aktiv mitzugestalten.  

Es gibt auch gute und bewährte Mittel, damit umzugehen. Bereits regelmäßige Kommunikation, Orientierung und Unterstützung wirken Wunder.

Doch bei einigen Vorwürfen und Blockaden fehlen einem zunächst die Worte.

Hier eine kleine Auswahl an Verschwörungstheorien aus unserer Praxis: „Der will uns aushungern und das Werk zu sich verlegen, um Bürgermeister zu werden.“ „Da ist mal etwas vorgefallen. Seitdem wird der Geschäftsführer von der Finanzchefin erpresst und gesteuert.“ „Die Schweizer Holding will zusammen mit den Wirtschaftsprüfern und Investoren unser Know-how nach China verkaufen.“

All das kann prinzipiell natürlich möglich sein. Genau deswegen finden vollkommen unbe­gründete Behauptungen plötzlich den Weg hinein in die Köpfe von Mitarbeitern. Eindeutige Erkenntnisse, schriftliche Zusagen oder sichtbare Handlungen werden hingegen ignoriert, als Lüge oder Betrug gehandelt. Das Bauchgefühl, das der Verunsicherung folgt, siegt über den Kopf.

Dabei reicht es häufig, dass ein paar laute, anerkannte Redner eine These vertreten oder die Geschichte gar den Weg in die Medien findet. Das Narrativ verfestigt sich. Je nachdem, wieviel Ambiguitätstoleranz die Empfänger haben.

Wie bei den Querdenkern gibt es auch im Unternehmen diejenigen, die daraus Kapital schlagen.

Da, wo Menschen auf der Suche nach Orientierung und einfachen Antworten sind, gehen andere mit Populismus gezielt auf Menschenfang. Sie erschaffen und lenken Gerüchte, um sich Kontrolle und Einfluss zu sichern oder sich aufzuwerten.

So etwas begegnet uns häufig. Auch beim Top-Management und Arbeitnehmervertretern. Teils ohne Rücksicht, bis zum Scheitern der Organisation. Dabei wird es immer wichtiger, dass Unternehmen und Mitarbeiter souverän mit ungeplanten Situatio­nen und Unsicherheit umgehen können.

Veränderungsfähigkeit wird Wettbewerbsfaktor.

Die Zeiten sind vorbei, als Ziele klar, der Weg eindeutig und Veränderungen endlich waren. Vor zehn Jahren wurden gute Change-Prozesse noch mit einem großen Auftakt begonnen, das Ziel beschrieben, der Weg sauber terminiert und in Schritten aufgezeigt. War das geschafft, hieß es: „Das war es mit der Veränderung, konzentrieren wir uns alle wieder auf unser Tagesgeschäft.“

Heute sind Veränderungen alltäglich, Ziele zunehmend unscharf und die Lösung wird häufig erst „unterwegs“ gefunden. Parallel entwickeln sich Unternehmenskultur, Führung und Zusammenarbeit deutlich weiter. Alles ist in Bewegung.

Menschen mit wenig Ambiguitätstoleranz können über diese wichtige Evolutionsstufe stolpern.

Denn es fällt ihnen sehr schwer, die Spannungen auszuhalten. Das führt bisweilen dazu, dass sie sich immer stärker vom Team abgrenzen und hilfreiche Erfahrungen oder Erkenntnisse schwer annehmen.

Im schlimmsten Fall beginnen Betroffene sich sogar über diese Abgrenzung zu definieren und sind nicht mehr mit Fakten und Argumenten zu erreichen. Diese Mitarbeiter wollen bei dem, was die Mehrheit erwartungsgemäß tut, nicht mitmachen.

Bei denjenigen, die die Realität völlig ablehnen, wird man kaum eine Chance haben.

Allen übrigen kann man die Hand reichen. Die Führungskräfte sind gefragt. Sie benötigen Zeit für ihre Mitarbeiter und das passende Handwerkszeug.

Der „Prävention“ kommt eine wichtige Rolle zu.

Kontinuierliche Kommunikation, Verlässlichkeit im Handeln, ernsthaft gelebte Werte schützen die Organisation. Es gilt, eine emotionale Stabilität in der Organisation zu schaffen und täglich zu pflegen.

Gerade mit Blick auf das Jahr 2020 sollte man sehr genau in das eigene Unternehmen blicken.

Wie stark wurde die Ambiguitätstoleranz herausgefordert, wie viel Vertrauen wurde „gebraucht“? Und können die Führungskräfte 2021 ihrer wichtigen Rolle zur Stabilisierung gerecht werden?

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen und verwende das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter (d/m/w).