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Ein Spark von Dr. Claudia Kleimann-Balke / 17.06.2024

Beklaute Frauen – und warum ich vielleicht doch anfange zu gendern

Es ist eine Grundsatzfrage, die auch bei unseren Kunden mal mehr, mal weniger intensiv diskutiert wird: Gendern? Ja oder nein?  Sie suchen dann mitunter auch meinen Rat und fragen, wie ich es denn damit halte. An dieser Stelle gebe ich gerne zu, dass ich der Diskussion über das Gendern in all seinen Fassetten lange Zeit völlig gleichgültig gegenüber stand. Mich hat das generische Maskulinum nie gestört – ich habe es verwendet, mich selbst als Student bezeichnet. Eher genervt von Formulierungen, wie Studierende, Mitarbeitende und Forschende muss ich mich nun wohl oder übel mit dem Gedanken anfreunden, dass die Veränderung der Sprache auch vor mir nicht Halt macht. Die Zeiten haben sich eben geändert. Mit diesem Mindset fuhr ich kürzlich in den Urlaub. Im Gepäck ein Buch von Leonie Schöler, das ich geschenkt bekommen hatte – übrigens von einem Mann. Selbst gekauft hätte ich es mir wohl nicht, obwohl es seit Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste steht. „Beklaute Frauen – Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen: Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte“.

Mit ihrem Buch positioniert sich Leonie Schöler – Historikerin, Autorin und Moderatorin – auf der Seite der Genderbefürworterinnen und -befürworter. Damit will sie einen Schritt in Richtung historische Gerechtigkeit gehen. Sie beleuchtet die Geschichten von Frauen, deren Beiträge zur Wissenschaft, Kunst und Politik systematisch unsichtbar gemacht wurden. Das Buch deckt die Mechanismen auf, mit denen Frauen in der Geschichte benachteiligt und ihre Errungenschaften von Männern vereinnahmt wurden. Ein inzwischen prominentes Beispiel ist Rosalind Franklin, deren Entdeckung der DNA-Doppelhelix von ihren männlichen Kollegen schlichtweg gestohlen wurde. Eine Geschichte, die durch den frühen Tod der Forscherin ein tragisches Ende fand. Vite, wie ihre, klären auf, und sie zu erzählen bedeutet, ihnen ein Stück der Anerkennung zurückzugeben, die ihnen lange verwehrt wurde.

Was das mit Gendersprache zu tun hat? Ganz einfach. Leonie Schöler verwendet – selbstverständlich – ganz bewusst, gendergerechte Sprache. Und ich glaube, es war das erste Buch „dieser Art“, das ich gelesen habe. Auf den ersten paar Seiten ist mir das noch aufgefallen … vor allem, weil die meisten Texte, die ich üblicherweise lese, so ganz  anders sind und mir gegenderte Formulierung häufig gekünstelt vorkommen. Hier war es anders: Korrekt und wertschätzend statt übertrieben und synthetisch. Und Seite für Seite wurde mir klar, welchen Einfluss Sprache auf Emanzipation hat. Sie trägt dazu bei, Frauen und nicht-binäre Personen in der Sprache sichtbar zu machen und anzuerkennen.. Gendersprache fördert auch das Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit und sensibilisiert für die Bedeutung von Sprache in der Wahrnehmung und Behandlung von Geschlechtern. Sie hilft, stereotype Denkmuster zu durchbrechen und zeigt, dass Geschlechtervielfalt in der Gesellschaft vorhanden und wichtig ist. Diese sprachliche Inklusion unterstützt die Gleichberechtigung, indem sie die sprachliche Diskriminierung verringert und alle Geschlechter gleichwertig behandelt – das ist zumindest die Hoffnung.  

Warum ich das erst jetzt begreife? Gute Frage! Vermutlich, weil ich in einer privilegierten Ecke der Erde und in einem ebensolchen Jahrzehnt geboren wurde. Diskriminierung aufgrund meines Geschlechtes musste ich nie erleben – dafür bin ich nach der Lektüre der „Beklauten Frauen“ umso dankbarer. Wenn uns die Sprache dabei helfen kann, ein Stück mehr Sensibilisierung für das Thema Gleichberechtigung „aller“ Menschen zu erreichen – und obwohl es mir sprachlich häufig gegen den Strich geht, denke ich ernsthaft darüber nach, ob ich auch beginne zu gendern.

Wie steht ihr dazu, liebe Leserinnen und Leser?